Bericht über die Informationsveranstaltung des Borreliose Selbsthilfe
e.V. Berlin-Brandenburg am 17. Oktober 2001 im St. Marien-Krankenhaus in
Berlin-Lankwitz
Referenten:
I.
LADR-Akademie, Berlin
"Der Lymphozytentransformationstest für Borrelien:
Neue diagnostische Möglichkeiten für Problemfälle"
II.
Prof. Dr. med. H. Kursawe
Neurologie, St. Josefs-Krankenhaus, Potsdam
"Klinik und Therapie der Neuroborreliose
unter Einschluß der Pulstherapie"
I.
Der Lymphozytentransformationstest für Borrelien (LTT-B) stellt eine
Möglichkeit dar, bei bislang "seronegativen" oder unklaren Borreliose-Verdachts-Erkrankungen
eine aktive LB nachzuweisen. Die herkömmlichen Nachweismethoden beruhen
auf dem Nachweis Bb-=spezifischer Antikörper, sekudär auf einem
Bb-Direktnachweis mittels PCR oder Kultur. Der LTT-B weist eine Aktivierung
von "Immunzellen" mittels Bb-Antigen nach, indem die Nucleinsäure-Synthese
der reagierenden Zellen gemessen wird. Je stärker ein Organismus mit
der Abwehr von Mikroben beschäftigt ist, desto reaktiver sind die
entsprechenden T-Lymphozyten. Als Kontrolle für die Funktionstüchtigkeit
der "Immunzellen" dienen Reaktionen auf herkömmliche Erreger und Impfungen,
z.B. "Tetanus". Der LTT-B ist auch zur Therapiekontrolle der LB (Erregerpersistenz)
geeignet, denn bei abnehmender Auseinandersetzung des Körpers mit
den Erregern nimmt die Reaktivität der T-Lymphozyten auf das Provokationsmedium
ab. Wie alle Testverfahren, so bietet auch der LTT-B keine hundertprozentige
Sicherheit hinsichtlich falsch-negativer Resultate. Die Zuverlässigkeit
hängt u.a. von den Bb-Stämmen ab, auf deren Grundlage der Test
entwickelt worden ist. Wichtig ist, dass der Test ein rekombinantes (gentechnisch
hergestelltes) Osp-C enthält, das in allen Bb-Stämmen vorhanden
ist. Außerdem wird die Reaktivität auf Lysate von B. afzelii
und Borrelia burgdorferi sensu stricto
untersucht.
Prof. v. Baehr wies darauf hin, dass
-
LB-Diagnostika keiner staatlichen Qualitätskontrolle unterliegen,
-
es pro Jahr ca. 60.000 LB-Neuerkrankungen in Deutschland gibt ,
-
von diesen Erkrankten ca. 5 % LB-Stadium III entwickeln,
-
es im LB-Stadium III keine Spontanheilung gibt,
-
das Krankheitsbild der LB an eine Lues erinnere und es auch zu diagnostischen
Überschneidungen komme,
-
eine persistierende EBV-Infektion zu positiven Bb-IgM-Ak führen kann,
-
intrazellulär persitierende Bb vom Immunsystem schlecht erkannt werden,
-
die Diagnosestellung der LB in erster Linie von den klinischen Zeichen
abhängt.
In der anschließenden Diskussion wurde u.a.
-
auf die Meldepflicht für LB in Berlin und den fünf neuen Ländern
aufmerksam gemacht
-
und die damit verbundene Budgetfreiheit für Laboruntersuchungen, die
durch den Kassenarzt veranlaßt werden. Die Kennziffer hierfür
ist 3481 (es ist fraglich, ob diese Regelung zur Zeit noch besteht).
Es wurde dargelegt, dass
-
die intrazelluläre Persistenz der Bb den Einsatz intrazellulär
wirksamer AB notwendig machen kann, z.B. Makrolide oder auch Tetrazykline,
-
es "Non-Responder" gibt, die auf eine Infektion - nicht nur mit Bb - keine
(nachweisbaren) Antikörper bilden,
-
Doxycyclin-Beschwerden (auch LB-unabhängig) bessern kann, da es auch
anti-entzündlich wirkt.
II.
Die Borreliose ist nach der Lues / Syphilis der "neue große Imitator".
Das klinische Bild reicht vom Erythema migrans im Frühstadium bishin
zum
Stadium II (bei einer Dauer von ca. 6 Monaten) mit
-
dem Bannwarth-Syndrom, einer Meningopolyneuritis mit typischer Gesichtsnervenlähmung
(z.B. N. facialis-Parese) oder auch Nervenwurzel-Reizungen,
-
Herzmuskelentzündung, z.B. mit Herzrhythmusstörungen und / oder
Kardiomyopathie,
-
Meningitis (Hirnhautentzündung),
-
Lymphadenosis, vor allem im Hals- und Kopfbereich,
-
Arthritiden,
-
"Augenborreliose"
und zum Stadium III mit
-
der LB-beweisenden Acrodermatitis chronica athrophicans,
-
Augenmuskellähmung bei MS-ähnlicher Symptomatik, z.B. N. abducens-
Lähmung,
-
bildgebend dastellbaren Gehirn-Läsionen,
-
Polyneuropathie, Radikulopathie,
-
Arthralgien, Arthropathien, Myalgien,
und auch zur Lyme-Encephalopathie mit
-
extremer Müdigkeit,
-
Depressionen,
-
Hirnleistungsstörungen.
Für die Behandlung einer LB sei das klinische Bild entscheidend. So
sei ein alleiniger positiver Bb-Ak-Status ohne klinische Beschwerden nicht
behandlungsbedürftig. Andererseits sei bei eindeutigen Symptomen auch
bei fehlendem Ak-Nachweis eine Behandlung indiziert.
Bei einer Neuroborreliose liefere die Liquordiagnostik nicht immer diagnostisch
wegweisende Bb-Ak-Befunde. In Einzelfällen ergäbe sich immer
wieder das Problem, daß im Hirnwasser nur eine allgemeine Entzündungsreaktion
anhand der Zusammensetzung der Eiweissbestandteile erkennbar sei, aber
keine Bb-Ak. In solchen Fällen, bei nachgewiesenen Serum-Bb-Ak, würden
auch Patienten nach Ausschluß anderer Erkrankungen und positivem
Therapieeffekt einer vorangegangenen AB-Behandlung für eine Folgetherapie
vorgesehen werden. Das Ansprechen auf eine antibiotische Therapie diene
als Stütze bei der LB-Diagnosesicherung.
Zur Therapie der LB III werden vor allem Ceftriaxon und Cefotaxim, aber
auch Doxycyclin eingesetzt, wobei Doxycyclin zur Therapie der Neuroborreliose
nicht primär geeignet ist. Ein Problempunkt der Borreliose-Behandlung
sei die Neigung zu Rezidiven, wenn die LB zu spät entdeckt wurde oder
die Ersttherapie unzureichend gewesen ist.
Als Therapieform der chronischen Neuro-Borreliose hat sich lt. Prof.
Kursawe die Puls-Therapie bewährt. Verwendet werden dabei in Potsdam
vornehmlich Ceftriaxon (Rocephin) und Cefotaxim (Claforan) 1x wöchentlich
z.B. 4 gr. Rocephin über zwölf Wochen (alternativ Claforan).
Es sei zu beobachten gewesen, dass am Tag nach einer Infusion eine Symptomverstärkung
auftrete, die dann abklinge, um nach der nächsten Infusion in geringerem
Masse wieder aktiviert zu werden. Dieses Aufflammen der Symptomatik sei
ein Zeichen für ein "Ansprechen" der Therapie.
Den Verlauf einer Neuroborreliose veranschaulichte Prof. Kursawe mit
einer Video-Vorführung. Der ca. 55 Jahre alte Patient zeigte im November
1995, nach einem Zeckenstich im März 1995 (wie eine kleine Schürfwunde,
violett, schwer heilend), eine Symptomatik, die zusammengefaßt als
atypisches Querschnittssyndrom (Guillain-Barre) mit Blasen- und Mastdarm-Störung,
einer schlaffen Paraparese beider Beine und Schmerzsymptomatik beschrieben
werden kann.
Die Krankheitszeichen waren:
-
Wundgefühl / Empfindlichkeit in den Achselhöhlen,
-
ringförmiger Schmerz um den Brustkorb, oberhalb und unterhalb des
Bauchnabels,
-
eingeschlafene Füße / Knöchel,
-
Stuhlverhalt,
-
Harnverhalt,
-
Schmerzen am ganzen Körper, muskelkaterartige Schmerzen,
-
Kälteempfindlichkeit, Berührungsempfindlichkeit,
-
keine Kraft, Herausrollen aus dem Bett, Schwierigkeiten (Unmöglichkeit?)
beim Treppensteigen,
-
Nackensteifigkeit,
-
abnorme Müdigkeit.
Fünf Tage nach der Therapie mit 2g Rocephin über 21 Tage hatte
sich die Symptomatik gebessert:
-
es war kein Ringgefühl mehr vorhanden,
-
Wasserlassen und Stuhlgang waren möglich,
-
in den Beinen bestand weiterhin ein Kribbeln und die Standfestigkeit wies
noch Defizite auf.
Der Patient bekam ein Jahr nach der Erstbehandlung ein LB-Rezidiv und wurde
mit 12 x 4gr Rocephin über 12 Wochen behandelt. Auffällig dabei
war eine Verstärkung der Beschwerden, zuerst ca. 2 Tage nach der Infusion,
später am Abend des "Infusionstages". Dieses Aufflammen der Symptomatik
wurde nach jeder Infusion geringer. Insgesamt besserten sich die Beschwerden
um ca. 80%, eine Restsymptomatik blieb bestehen.
In der anschliessenden Diskussion wurde
-
auf die psychischen Beeinträchtigungen bei LB verwiesen, unter denen
die meisten Patienten zu leiden haben und
-
die Frage nach alternativen Behandlungsmethoden beim Heilpraktiker oder
Homöopathen als wenig erfolgversprechend angesehen.
Herr Prof. Kursawe betonte, dass eine LB ohne positive serologische Suchreaktionen
selten ist und Borrelien-AK nach Antibiotikatherapie auch erst im Verlauf
auftreten können.
Herr Dr. Töpel wies darauf hin, dass eine LB ohne positive serologische
Suchreaktion für eine Entzündung einhergehen kann.
Schlussbemerkung
Eine Fortbildungsveranstaltung, die von betroffenen Laien ausgerichtet
und von einem klinisch tätigen Arzt sowie einem Wissenschaftler bestritten
wird, steht im Spannungsfeld zwischen persönlichen Erfahrungen der
Betroffenen und den Erkenntnissen der Spezialisten. Sehr erfreulich war
die ausführliche und treffende Schilderung des klinischen Bildes einer
LB aus der Sicht eines Neurologen, in der neben Lähmungserscheinungen
und Schmerzen auch auf die LB-assoziierte Encephalopathie hingewiesen wurde.
Der Lymphozytentransformationstest für Borrelien (LTT-Borrelien)
kann einen Ausweg aus dem Dilemma der serologischen LB-Diagostik aufzeigen.
Es wäre wünschenswert, wenn sich die LB-Therapie am persönlichen
Beschwerdebild des Patienten unter Berücksichtigung der Erkenntnisse
über die Pathomechanismen der Bb orientieren würde. Man hat inzwischen
erkannt, dass sich Bb langsam vermehren, immunsuppressiv wirken, sich intrazellulär
und im Bindegewebe "verstecken" und auch ihre Erscheinungsform verändern
können. Die Auswahl der eingesetzten Medikamente, deren Dosierung
und die Therapiedauer sollten daran angepaßt werden.
Wir danken dem Marien-Krankenhaus in Berlin-Lankwitz, insbesondere Herrn
Chefarzt Dr. Groß-Albenhausen und der Firma Hoffmann-La Roche für
die großzügige Bereitstellung der Räumlichkeiten und das
Büfett für die Veranstaltung, und wir danken Herrn Dr. Töpel
für die souveräne Leitung der Diskussion.
Fragen bitte richten an Hanna
Priedemuth
Adresse
dieser Seite
Home dieses Servers