Bericht vom VI. internationalen Potsdam-Symposium über tick-borne-diseases
in Berlin am 26. und 27. April 2001
Die Autorin ist Mitglied im
Borreliose Selbsthilfe e. V.
Berlin-Brandenburg
E-Mail: borreliose.SHV.berlin@t-online.de
Borreliose-Betroffene kommen sich auf solch einer Tagung leicht fehl
am Platz vor. Es werden Vorträge gehalten, wie man es erwartet: z.B.
über das 2-Stufen-Schema der Bb-Serodiagnostik. Man wird belehrt,
dass keine weiteren Untersuchungen notwendig seien, sofern die Screening-Tests
negativ ausfallen und dass ein ELISA zuverlässig sei. Persistierende
IgM ohne Vorliegen von IgG sprächen gegen eine chronische LB. Als
ausreichende Therapie werden von manchem noch immer drei Wochen Rocephin
oder Doxycyclin erachtet. Ein Wissenschaftler ließ sich sogar zu
der Äußerung hinreißen, dass es eine Sache für die
Psychatrie sei, wenn eine Wiederholungstherapie nicht anschlage. Es handele
sich dann nur noch um "so ein Gefühl des Patienten, ähnlich wie
bei Fibromyalgie". Es sei auch lustig, wenn ein Betroffener die verschiedensten
Antibiosen ausprobiere, um wieder gesund zu werden.
In weiten Kreisen der Ärzteschaft scheint nicht bekannt zu sein,
wie verzweifelt der Kampf gegen eine Borreliose oftmals geführt wird.
Da kann es nur heissen: "Kopf hoch und die Hoffnung nicht aufgeben !".
Es gibt aber, wenn man genauer hinschaut, durchaus Lichtblicke, die
ein Umdenken in der Wissenschaft erkennen lassen:
Vortragsblock LB I: Klinische Medizin, Diagnostik und Therapie
B. Wilske aus München
berichtete über einen Patienten mit 10-jähriger ACA,
der mehrfach antibiotisch behandelt worden ist. Dennoch liessen sich aus
einer anschließenden Hautbiopsie nach 10-wöchiger Kultur Borrelien
anzüchten. Dieses Ergebnis ist dem Engagement einer MTA
zu verdanken. Der Schwerpunkt des Vortrages lag auf den vom MiQ
ausgearbeiteten neuen
Diagnose-Richtlinien, die eine Abgrenzung zu den CDC-Richtlinien
darstellen.
Frau Wilske betonte, dass der mikrobiologische Labor-Report keine Behandlungsvorschläge
enthalten solle und dass ein serologisches follow-up als Therapiekontrolle
ungeignet sei.
R.Lange aus Berlin
unterstrich, dass eine Serodiagnostik nicht erforderlich ist, sofern der
praktizierende Arzt deutliche Zeichen einer Bb Infektion/Erkrankung sieht,
z.B. ein EM, eine Meningoradikulitis oder eine ACA. Für
eine frische Infektion sei, mit Hinweis auf die Richtlinien des MiQ (5.3.10),
eine
spezifische IgM-Bande im Immunoblot beweisend, zum Nachweis
einer fortgeschrittenen Infektion seien zwei spezifische IgG-Banden
notwendig. Allerdings würden diese Kriterien die Gefahr falsch-positiver
Befunde in sich bergen. Mit Bezug auf Klaus Hansen aus Kopenhagen erläuterte
er, dass Anti-Flagellin-Ak für Bb spezifisch seien
(s. auch Hansen
K, Pii K, Lebech AM). Die für einen Immunoblot notwendigen höchsten
Anforderungen würden nicht immer erfüllt werden. Als Grund hierfür
komme die Tatsache in Frage, dass LB keine sexuell übertragbare
Krankheit sei und folglich staatliche Maßgaben für eine Testsicherheit
fehlten.
K.-P. Hunfeld aus Frankfurt
stellte Ergebnisse seiner in-vitro-Studien über
neu erprobte antimikrobielle Substanzen vor, die gegen Bb wirken und möglicherweise
auch in-vivo brauchbar sein könnten. Erfolgversprechend
seien neue Chinolone und neue Makrolid-Derivate, die Ketolide. Beide Substanzklassen
sollen gut gewebegängig sein, auch intrazellulär wirken und damit
gegen intrazellulär sequestrierte Borrelien und L-Formen (durch inhibitorische
Effekte, die unabhängig von der Zellwandsynthese sind) einsetzbar
sein.
Leider wurde im Vortragsblock LB I kaum auf das klinische Bild der LB
eingegangen, insbesondere gab es keine Fallvorstellungen oder Ausführungen
zur Symptomatik.
Erfreulich an der anschließenden Diskussion war, dass auf
die Notwendigkeit hingewiesen wurde, die Borreliose-Testverfahren auf der
Grundlage von drei (leider nicht von allen) Borrelienstämmen durchzuführen.
Auf Ursachen eines Therapieversagens wurde nicht eingegangen, auf die Frage
nach Kombinationstherapien gab es wenig Resonanz. Das Phänomen der
Seronegativität wurde nicht erörtert. Morphologische Veränderungen
von Bb unter Antibiose wurden angesprochen, nicht nur die Zysten-Entstehung
unter ß-Lactam-AB, sondern auch die Bildung von Mesosomen (?!) unter
Doxycyclintherapie. Für die Behandlung von Persistern wurden intracellulär
wirksame AB gefordert.
Der Hinweis auf Testverfahren, die auf der Grundlage möglichst
vieler Bb-Stämme durchgeführt werden sollen, war angebracht,
wie Diskussionen am Rande der Veranstaltung zeigten. So erhält jemand
mit typischer Anamnese und klinischen Zeichen einer Borreliose keine Behandlung,
da sich das ursprünglich hochpositive Testergebnis (auf der Grundlage
von Bb. s.s.) durch eine Re-Testung (auf der Grundlage
von B. afzelii) nicht im gewünschten Umfang bestätigen ließ.
Der Vortragsblock LB II
... befasste sich mit dem Thema Immunologie/Impfung
D.T. Dennis (CDC)
berichtete über Epidemiologie und Impfkampagne in den USA. Jährlich
werden dem CDC >16.000 Erkrankungen gemeldet. Insgesamt sind seit 1982
mehr als 150.000 Fälle registriert worden. Man könne davon ausgehen,
dass in Hochendemiegebieten nur ca.15% der Erkrankungsfälle identifiziert
werden. Es handele sich bei LB um eine heraufziehende Epidemie. LB sei
gut therapierbar, sofern die Diagnose im Frühstadium gestellt werde,
die Behandlung rechtzeitig erfolge und auch angemessen sei. Ansonsten drohe
ein schwerer Verlauf oder Invalidität. LB mache 95% der VBD in den
USA aus. Dieses Verhältnis ändere sich aber; der Anteil der Ehrlichiose
nähme zu.
Der in den USA verwendete Osp-A-Impfstoff wirkt im Mitteldarm der Zecken
und verhindert eine Übertragung von Bb. Mögliche pathogene Effekte
der Impfung beruhten auf einem Mimikry von Osp-A
und hLFA-1, einem humanen Leukozyten-Funktion-assoziierten Antigen.
V. Brade aus Heidelberg
stellte dar, wie Bb möglicherweise dem Immunsystem entkommt: Bb ist
in der Lage, die Cytokin-Antwort des Organismus zu manipulieren. Es sind
auf der "outer surface" von Bb fünf Proteine entdeckt worden, die
direkt mit zwei Complement-regulierenden Proteinen interagieren: CRASPs
- complement-regulators-aquiring-surface-proteins.
Dieses Phänomen erklärt möglicherweise unterschiedliche
Empfindlichkeiten der Bb auf Immunsera. B. afzelii-Isolate waren in der
Regel Serum-resistent, während Bb. s.s. empfindlicher reagierte. Dabei
muss man beachten, dass für eine Elimination von Bb aus dem Körper
(durch den Organismus) immer Complement und Antikörper erforderlich
sind.
M. Simon aus Freiburg
bezeichnete die Probleme von Impfungen gegen Bb bei Mensch und Hund als
ähnlich. So gibt es bei beiden keinen Goldstandard für die Diagnose
und die Spirochäten exprimieren in-vivo und in-vitro unterschiedliche
Phänotypen. Deshalb werden spezifische Antikörper, die gegen
Bb-Strukturen in-vivo gerichtet sind, von einem Testsystem nicht erkannt,
das auf der Grundlage von in-vitro gezüchteten Borrelien arbeitet.
Dies müsse bei der Entwicklung von Tests beachtet werden. Dieser Phänotyp-Wechsel
ist auch für die Impfstoffentwicklung von Bedeutung: Werden Bb auf
den Wirt übertragen, so verlieren sie ihre Osp-A-Eigenschaft und exprimieren
andere Merkmale. Damit wirken anti-Osp-A-Ak nur in der Zecke und vermindern
das Risiko einer Bb- Übertragung. Der bisher entwickelte Osp-A-Impfstoff
ist in Europa nicht einsetzbar, denn es gibt mangels Kreuzreaktivität
keine schützende Wirkung gegen alle drei, mit verschiedenen Osp-A
ausgestatteten Hauptvertreter von Bb. Es besteht allerdings die Möglichkeit,
einen Impfstoff zu verwenden, der die Ak- Bildung gegen drei verschiedene
Osp-A induziert, einen trivalenten Impfstoff (anm: ähnlich wie gegen
Poliomyelitis/ Kinderlähmung) .
Einen Schutz gegen Infektionen und evtl. eine Therapie können möglicherweise
anti-Osp-C-Ak bieten, wie ein Tierversuch hoffen lässt. Anti Osp-C-Ak
wirken nicht in der Zecke, sondern im Tier: Bei einer Maus, die mit Arthritis,
Karditis und Hepatitis erkrankt war, ermöglichte eine Behandlung mit
anti-Osp-C-Ak die Eliminierung der Spirochäten.
Es ist nicht bekannt, wie lange Osp-C in-vivo exprimiert wird, deshalb
ist nach weiteren Zielstrukturen gesucht worden, die sich während
einer Infektion darstellen. Gefunden worden sind auf dem Bb-Strang ZS-7
die neuen Antigene zs3, zs6, zs8, die alle zusammen mit Osp A/B auf dem
linearen Plasmid Ip 54 lokalisiert sind. Eine rekombinante Präparation
von ZS3 und ZS8, aber nicht von ZS6, kann Ak-Produktionen in Mäusen
hervorrufen und den Empfänger gegen nachfolgende Infektionen schützen.
Damit sind ZS3 und ZS8 mögliche Kandidaten für eine Impfung "der
zweiten Generation" um LB zu verhindern und/oder zu heilen.
M. Simon wies abschliessend nochmals darauf hin, dass man in die Bb-Testsysteme
in-vivo
exprimierte
Proteine einschließen muß.
In der anschliessenden Diskussion wurde gefragt, welche der gefundenen
Proteine für die Serodiagnose geeignet seien und ob man Bb von infizierten
(anm: und behandelten ?) Mäusen rekultivieren könne. Beides ist
noch nicht untersucht worden.
Leider wurden die Forschungsergebnisse von
I. Diterich und T.Hartung aus Konstanz (Poster)
nicht erörtert. Die Darlegungen zeigen, daß bei chronischer
Borreliose der Cytokin-Haushalt durch eine Verminderung von TNF-alpha
und gamma-IFN bei erhöhtem IL-10 in Richtung Non-Inflammation
verschoben ist. Hierdurch wird möglicherweise eine Persistenz der
Spirochäten begünstigt.
Es wäre interessant gewesen zu erfahren, ob die nachgewiesenen
Cytokin-Änderungen Auswirkungen auf die Sensitivität der Sero-
und vor allem auch der Liquordiagnostik bei chronischer LB haben können.
Ist der Cytokin-Haushalt in Richtung Non-Inflammation verschoben, so liegen
möglicherweise keine unspezifischen Entzündungszeichen im Liquor
vor (der Patient hat auf den ersten Blick nichts) und auch die Ak-Produktion
könnte unterdrückt sein.
LB III
K.Kurtenbach aus Oxford
erläuterte ökologische Fragestellungen hinsichtlich Migration
und Selektion bei Bb. Bb wird entlang Vogelflugrouten, z.B. von Schweden
bis Portugal verbreitet. Vögel sind gegen manche Bb-Spezies immun
und übertragen die Stränge, an denen sie auch erkranken, wobei
der einzelne Vogel - und die einzelne Zecke - meist eine Kombination von
mehreren Bb-Arten in sich tragen. Wichtig für die Auslese und damit
auch für die Übertragbarkeit von Bb ist die Complement-Resistenz
einzelner Stränge im jeweiligen Wirt und auch im Mitteldarm der jeweiligen
Zecke.
Mit der Verbreitung von Bb durch Vögel haben sich auch A.Kaiser
aus Mainz und P.-F.- Humair aus Neuchatel befasst und Bb-Verbreitung
durch "mitreisende" Zecken beschrieben.
L.Gern aus Neuchatel
bezeichnete die Gegend um Neuchatel als hochendemisch für LB. Es seien
fünf Bb-Spezies vertreten:
-
Bb. s.s.,
-
B. afzelii,
-
B. garinii,
-
B. valaisiana und
-
B. lusitania.
Hochinfektiöse Zecken würden eine Anzahl von >100 Spirochäten
(Bb) in sich tragen.
Die Tagungsbeiträge befassten sich nicht nur mit Borreliose, sondern
auch mit anderen durch Zecken übertragbaren Erkrankungen. So
gibt es europaweit, vor allem in östlichen Gebieten, im Baltikum bis
hinunter zum Balkan Probleme mit FSME. Oesterreich führt seit 1976
erfolgreich eine flächendeckende Impfkampagne gegen FSME durch.
-
M. Labuda aus der Slovakei berichtete über eine FSME-Epidemie
in den 50er Jahren, die höchstwahrscheinlich durch nicht-pasteurisierte
Milch ausgelöst worden war.
-
Bei Forstarbeitern in Baden- Würtemberg liege die Prävalenz von
anti-Ehrlichien-Ak bei 5-15%, so R. Oehme. Die Bedeutung einer Infektion
sei wegen einer zu geringen Zahl an dokumentierten Fällen nicht einschätzbar.
Neben Bb, Ehrlichien und TBE gäbe es Babesiose (bei Kühen), häufig
Q-Fieber und evtl. Infektionen mit Rickettsia helvetica wie in der Schweiz
oder im angrenzenden Frankreich.
-
T.Talaska (Poster) postulierte einen gewissen Grad der Durchseuchung
mit Babesiose in Brandenburg, die klinische Bedeutung sei unbekannt.
Schlußbemerkung
Es ist deutlich gesagt worden, dass es bis heute keine relevanten Studien
über Verlauf und Therapie der LB III gibt. Man geht davon aus, dass
bis zu 70% der Erkrankten im LB-Stadium III nicht zufriedenstellend auf
eine Behandlung ansprechen. Dies ist ein Grund dafür, dass niemand
behaupten kann, eine Therapie müsse nach 3 Wochen einen dauerhaften
Erfolg erbracht haben. Ein Bakterium, das bis zu 10 Wochen Kultivierungszeit
benötigt und das über vielfältige Schutz- und Abwehrmechanismen
verfügt, ist unmöglich mit einer Kurzantibiose zuverlässig
eliminierbar.
In der relativ kurzen Zeit seit Entdeckung des Krankheitsbildes und
des Erregers der LB sind die Beobachtungen von Laien immer wieder bestätigt
worden. Wer hätte um 1970 eine endemische Polyarthritis für möglich
gehalten ? Um in der Diagnostik und der Therapie dieser "unfassbaren" Erkrankung
weiterzukommen, wird eine ganz enge Zusammenarbeit zwischen Betroffenen
und Behandlern/Wissenschaftlern erforderlich sein.
Wir als Betroffene können mit Informationen und mit Offenheit für
die Anerkennung der Borreliose-Erkrankung werben in der Hoffnung, dass
Öffentlichkeit und Gesundheitsinstitutionen aufmerksamer werden und
künftig der Bekämpfung dieser Seuche die notwendige Bedeutung
zugemessen wird.
ACA: Acrodermatitis chronica atrophicans;
Ak: Antikörper;
Bb. s.s.: Borrelia burgdorferi sensu strictu;
AB: Antibiotika;
CDC: center of disease-control, USA;
EM: Erythema migrans, Hautrötung bei früher
LB;
FSME, auch TBE: FrühSommer-Meningo-
Encephalitis;
IgG: Marker für eine alte Infektion;
IgM, persistierende: Antikörper, die typischerweise
in der ersten Zeit nach einer Infektion auftreten und trotzdem lange im
Körper verbleiben;
in-vitro: im Reagenzglas,
in-vivo: im lebenden Organismus;
LB: Lyme-Borreliose;
MiQ: Expertenkommission für Qualitätsstandards
in der mikrobiologischen Diagnose von Infektionkrankheiten;
MTA: medizinisch-technische- Assistentin;
Osp-A, Osp-C: Oberflächen-Eiweisse
auf Bb;
TNF-alpha, IL-10, gamma-IFN:
Botenstoffe;
VBD: vector-borne diseases
Weitere Begriffserklärungen im Lexikon
Version: 7.7.2001
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